3. Januar 2015

Prüfungsstress fürs Gymnasium

Schüler, die den Übertritt ans Gymnasium schaffen wollen, büffeln teilweise seit den Sommerferien für die Aufnahmeprüfung. Kurse privater Anbieter boomen und gefährden die Erfolgschancen von Kindern wenig privilegierter Eltern.




47 Prozent der Geprüften schaffen den Übertritt ins Kurzgymnasium, Bild: livenet.de

Ohne Hilfe ins Gymi zu kommen wird schwieriger, NZZ, 3.1. von Natalie Avanzino



Christian Berger bezeichnet seinen zehnjährigen Sohn Noah als guten Schüler. «Allerdings nicht konstant», fügt der selbständige Architekt an. Einmal kriegt der Viertklässler für seine Englischprüfung eine Sechs, das nächste Mal eine Vier. «Obwohl ich täglich mit ihm die Hausaufgaben anschaue», sagt der 44-jährige Vater, der mit seiner Familie im Zürcher Kreis 7 wohnt.
Dass sein Sohn ins Gymnasium soll, steht ausser Frage. Er selbst besuchte die Zürcher Privatschule Dr. Buchmann und wechselte später in ein privates Internat im Kanton Zug. Von anderen Eltern aus dem Quartier hat er bereits einige Geschichten bezüglich der aufreibenden Vorbereitungen für die Aufnahmeprüfung ans Gymnasium gehört und äussert sich besorgt: «Zusatzkurse und Extra-Coaching werden den jetzt schon intensiven Schulalltag meines Sohnes noch mehr befrachten.»
Langgymnasium beliebt
Im Dezember hat Berger deshalb den Informationsabend am Freien Gymnasium im Zürcher Seefeld besucht. Die Privatschule bietet neu ab kommendem Sommer eine Vorbereitungsklasse ab der 5. Primarstufe an. Berger überlegt sich nun, ob dies etwas für Noah wäre.
Schulrektor Thomas Bernet betont, dass das Angebot genau beim vollgepackten Schulprogramm ansetzen will: «Kurse können zwar Prüfungswissen vermitteln. Die 5. und 6. Klasse des Freien Gymnasiums bietet aber eine nachhaltige und stressfreie Vorbereitung auf das Gymnasium, die das ganze Fächerspektrum abdeckt, nicht nur die Prüfungsfächer.» Dieses Paket des 1888 gegründeten Gymnasiums überzeugt Berger, auch wenn sich die Kosten für das Vorbereitungsjahr auf gut 22 500 Franken belaufen. Nach der 5. folgt zum ähnlichen Tarif die Vorbereitungsklasse der 6. Primarstufe; die beiden Schuljahre bildeten zusammen eine Einheit, die das Fundament für den Übertritt in die Gymi-Stufe legen solle, so Bernet.
«Natürlich sind dies happige Beträge», resümiert Berger. «Aber bei einem privaten Kursanbieter mit ein paar Lektionen wöchentlich kostet die reine Prüfungsvorbereitung mehrere tausend Franken.» Während Noah erst in zwei Jahren ins Gymnasium übertreten will, gilt es für viele Schüler und Schülerinnen in ein paar Wochen ernst. Am 9. März starten im Kanton Zürich die Aufnahmeprüfungen für die öffentlichen Gymnasien, sie werden an allen Schulen identisch sein. Die Sechstklässler werden in Deutsch und Mathematik geprüft, die Sekundarschüler, die ins Kurzgymnasium möchten, müssen zusätzlich eine Französischprüfung ablegen. Die Zahlen für die Anmeldung zur Gymi-Prüfung sind in den letzten Jahren relativ stabil. Im vergangenen Frühjahr traten im ganzen Kanton 3634 Sechstklässler zur Zentralen Aufnahmeprüfung für das immer beliebter werdende Langgymnasium an, davon bestanden 1972 Schüler die Prüfung. Dies entspricht - ähnlich wie in den Jahren davor - einer Erfolgsquote von 54 Prozent. Beim Langgymnasium braucht es zusammen mit den Vornoten aus der Primarschule einen Durchschnitt von 4,5, die mündliche Prüfung für Grenzfälle gibt es seit 2012 nicht mehr. Die Prüfung für das Kurzgymnasium absolvierten im letzten Jahr 2786 Sekundarschüler. Den Übertritt schafften schliesslich 1304 Jugendliche, das sind 47 Prozent der Geprüften.
In vielen Familien wurde jetzt in der Ferienzeit mit dem Nachwuchs gebüffelt; man hat alte Aufnahmeprüfungen gelöst. Nicht wenige schicken ihr Kind bereits seit den Sommerferien in Vorbereitungskurse privater Anbieter.
Diese boomen seit Jahren, der Markt ist kaum mehr überschaubar. Das Angebot ist vielfältig, von der Einzelstunde bis zum monatelangen schulbegleitenden Kurs in Kleinklassen. So bietet beispielsweise das Logos-Lehrerteam Mathematik- und Sprachkurse (vier Lektionen pro Woche) von August bis März für 3340 Franken an. Das Lernstudio hat einen etwas kleineren Vorbereitungskurs für 2045 Franken im Angebot. Ist die Aufnahmeprüfung ohne spezielle Unterstützung überhaupt noch zu bewältigen? Kaum, sagen viele Kursanbieter, ohne sorgfältige Vorbereitung sei die Gymi-Prüfung heute fast nicht mehr zu bestehen.
Zwar bietet die Volksschule vielerorts kostenlose Vorbereitungskurse an. Gemäss einem kantonsrätlichen Beschluss aus dem Jahr 2013 sind die Schulgemeinden allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Die Bildungsdirektion empfiehlt dies aber. In der Stadt Zürich werden in sämtlichen Schulkreisen unentgeltliche Kurse für Schüler und Schülerinnen der 6. Klasse und der 2. Sekundarstufe durchgeführt. Dabei handelt es sich um zwei Wochenlektionen im ersten Semester, in denen vor allem Prüfungsaufgaben aus früheren Jahren gelöst werden.
Mirella Forster (fdp.), Präsidentin des Schulkreises Zürichberg, sieht die Kurse der privaten Anbieter nicht als Konkurrenz, sondern als «ergänzende Zusatzschulung» zum Angebot an den Volksschulen. Die öffentlichen Prüfungsvorbereitungen würden am Zürichberg wie in den meisten anderen Schulkreisen von den Lehrpersonen im Rahmen der städtischen zeitlichen Vorgaben durchgeführt, sagt sie.
Kritik an teuren Kursen
Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien kritisieren zunehmend die gegenwärtige Entwicklung. So schreibt die Kommission für Bildung und Kultur des Kantonsrats in einem Bericht: «Es ist erwiesen, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Aufnahmeprüfung bei gleicher Intelligenz und gleichen schulischen Leistungen durch die Prüfungsvorbereitungskurse um 9 Prozent gesteigert werden kann.»

Ebenfalls äusserst skeptisch betrachtet Katrin Wüthrich (sp.), Schulpräsidentin des Schulkreises Limmattal, die Tendenz des wachsenden Privatmarktes der Kursangebote. Sie findet teure Vorbereitungskurse für die Aufnahmeprüfung nicht gut, weil so die Bildungschancen für Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern eingeschränkt seien. «Die öffentliche Schule soll - und muss - ihre Schüler und Schülerinnen genügend auf das Gymi vorbereiten.»

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