1. Dezember 2014

Schulbehörden formulieren Kleiderregeln

Sie fallen in die Schulzimmer ein in bunten T-Shirsts und ausgetragenen Jeans. Sie erschrecken die Kinder mit unförmigen Sandalen. Ein Teil der Lehrer in der Schweiz kleidet sich, als wäre die Schule ein Freizeitpark. Damit soll nun Schluss sein. Schulbehörden formulieren Kleiderregeln.







Viele Schweizer Lehrer machen keinen Unterschied zwischen Freizeit- und Berufskleidung, Bild: Rahel Nicole Eisenring


Schlabber-Pädagogen, NZZaS, 30.11. von Francesco Benini




Das Gespräch mit dem Lehrer blieb den Eltern in Erinnerung. Nicht weil er Dinge über ihren Sohn sagte, die sie überrascht hätten. Der Lehrer trug einen Kapuzenpullover, Turnschuhe und Jeans, die an mehreren Stellen zerschlissen waren. «Verdienen in der Schweiz die Lehrer so wenig?», fragte die Mutter den Vater nach dem Termin.
Keine Hose ist zu verbeult, kein Pullover zu abgetragen, kein Paar Schuhe zu abgelatscht, um nicht in Schweizer Schulzimmern präsentiert zu werden. Jürg Brühlmann, der Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle im Dachverband der Lehrer, drückt sich vorsichtig aus: «Was die Kleidung anbelangt, ist die Spannweite unter den Lehrerinnen und Lehrern manchmal etwas zu gross.» Kürzlich wurde am Schweizer Fernsehen eine Diskussionsrunde mit Lehrern ausgestrahlt. Wäre man dem Programm ohne Ton gefolgt, hätte sich die Vermutung aufgedrängt, dass die Jahresversammlung des Holzfäller-Verbandes ausgestrahlt wird. Konfrontiert mit der geballten Rustikalität ihrer Besucher, gaben sich die professionellen Modeberater am Leutschenbach offenbar geschlagen.
Viele Schweizer Lehrer machen keinen Unterschied zwischen Freizeit- und Berufskleidung - wo liegt das Problem? Ein Teil der Lehrerschaft findet, man solle sie um Himmels willen in Ruhe lassen. Was sie anzögen, sei ihre Privatsache, und überhaupt stellten sich in ihrem Beruf ganz andere Probleme. Laut einer unlängst publizierten Studie ist ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer nahe an einer Erschöpfungsdepression. Ob man da ein bunt bedrucktes oder ein einfarbiges T-Shirt anzieht, ist eine Frage von nachrangiger Bedeutung. Die Verteidiger des modischen Laisser-faire weisen zudem darauf hin, dass ein fachlich kompetenter Lehrer, der pädagogisch geschult sei und als Person authentisch wirke, in jeder Kleidung vor eine Klasse treten könne - er werde immer reüssieren.
Leuchtendes Beispiel Kreuzlingen
Lange Zeit war es tatsächlich gleichgültig, wie sich die Lehrer kleideten. Vor den Schülern trugen sie eine Art Ärztekittel. Das weisse oder blaue Mäntelchen hing im Klassen- oder im Lehrerzimmer, es wurde vor den Schulstunden übergestreift und gleich danach wieder abgelegt. Der Arbeitskittel sollte die Lehrer vor Kreidestaub und Tintenflecken schützen. Sie waren unter dem Überwurf mehrheitlich formell gekleidet und trugen zum Beispiel Anzüge aus Manchesterstoff.
Die 68er Bewegung bereitete diesen Gepflogenheiten ein Ende. Um sich von der als engstirnig und spiessig empfundenen Elterngeneration abzugrenzen, kleideten sich die Anhänger der Protestbewegung an ihren Arbeitsplätzen kaum anders als in der Freizeit. Die Schulzimmer wurden von diesem Trend schnell erfasst. Die Lehrerinnen und Lehrer trugen Jeans und bunte T-Shirts und Wollröcke. Und Sandalen, manchmal mit, manchmal ohne Socken - wer wollte entscheiden, was schlimmer ist? Die 68er stellen die Autoritäten infrage, die Lehrer gehörten dazu, also sollte alles vermieden werden, was nach Autorität aussah.
Nun gibt es eine Gegenbewegung. Eine wachsende Zahl von Lehrern stört sich daran, wie sich manche Kollegen in der Öffentlichkeit präsentieren. Sie finden, dass der allzu legere Look dem Ruf des Berufsstandes schade. Lehrer sind in der Gesellschaft nicht mehr die Respektspersonen, die sie einmal waren - muss man diese Entwicklung noch mit Schlabberkleidern betonen?
Die Schulen von Kreuzlingen - von der Kindergarten- bis zur Sekundarstufe - hielten kürzlich einen Weiterbildungstag für ihre Lehrer ab. Der Stilexperte und NZZ-Journalist Jeroen van Rooijen trat auf und formulierte zusammen mit den Lehrern Empfehlungen für die Kleidung. Sie sind nicht bindend. An der Veranstaltung wurden aber kaum Bedenken geäussert; der Schweizer Dachverband der Lehrer ist mit den Vorschlägen einverstanden.
Van Rooijen sagt, die Schweizer Lehrerinnen und Lehrer seien durchschnittlich gekleidet. Einigen scheine nicht bewusst zu sein, dass sie in einem Schaufenster stünden und ein Vorbild für ihre Schülerinnen und Schüler sein sollten. Was in Kreuzlingen erarbeitet worden sei, entspreche einem Katalog der Selbstverständlichkeiten (siehe Kasten). «Es geht vor allem darum, den Freizeitlook aus den Klassenzimmern fernzuhalten. Das Leben ist kein Weekend.»
Die Unterstützung für diese Haltung wächst. Lilo Lätzsch, die Präsidentin des Zürcher Lehrerverbandes, hält eine korrekte Kleidung, die sich am «Casual-Business-Stil» orientiere, für wichtig. Sie sei ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. Die Lehrer seien nicht im Ausgang, und sie bauten keine Sandburgen. Eine allgemeine Kleiderordnung für Lehrer hält Lätzsch aber für übertrieben. Es liege in der Verantwortung der Schulleitungen, Lehrer anzusprechen, die sich nicht korrekt kleideten.
Nicht zu salopp, auf keinen Fall aufreizend, aber auch nicht übertrieben formell - dieser Stil wird den Lehrerinnen und Lehrern vorgeschlagen. Sie müssen nicht daherkommen wie Bankangestellte, aber sie sollten sich von den Schülern klar unterscheiden. Die meisten Jugendlichen schätzen es sowieso nicht, wenn man sich ihnen kleidungsmässig annähert. Sie empfinden das als Anbiederung.
Dass die Lehrer einen gewissen Standard einhalten, ist auch ratsam, weil eine wachsende Zahl von Schulen Vorschriften für die Kleidung der Schülerinnen und Schüler erlässt. Vor allem in den Sommermonaten erscheinen einige Mädchen allzu freizügig im Klassenzimmer. Wie sollen die Schulleitungen glaubhaft intervenieren, wenn sich die Lehrerinnen in Kleidern mit Spaghettiträgern und in Flipflops zeigen?
Lehrerin will keinen BH tragen
An der Pädagogischen Hochschule Zürich wird die Kleidung der Lehrkräfte in einem Modul zur «Auftrittskompetenz» thematisiert. In der Mensa der Hochschule sprechen wir Studenten an. Sie unterstützen die Regeln, wie sie in Kreuzlingen zusammengestellt worden sind. Es scheint, dass die angehende Generation von Lehrern grösseren Wert legt auf gepflegte Kleidung als die älteren Kollegen.
Eine Studentin erzählt, ihre Lehrerin aus der Generation der 68er habe nie einen Büstenhalter getragen. «Durch ihr T-Shirt sah man alles, was man gar nicht sehen will», sagt die junge Frau und zieht ein Gesicht, als habe sie eine Zitrone im Mund. Eine Kollegin ergänzt, nicht nur die Kleidung, auch die Körperhygiene sei bei einem Lehrer wichtig: «Fettige Haare und Mundgeruch, das geht gar nicht.» An zwei aufeinanderfolgenden Tagen dasselbe anziehen, das mache ebenfalls einen schlechten Eindruck. Und an den Elterntagen ziehe man sich besonders gepflegt an.
Die Studenten, die Praktika in anderen Ländern absolviert haben, erzählen von Regeln, die strenger seien als hierzulande. In Südafrika zum Beispiel dürfe man als Lehrer keine Jeans tragen. Man ist sich in der Mensa einig: Der Schlabber-Look hat in den Schulen nichts verloren. Trotzdem gebe es nach wie vor Kollegen, die schlampig daherkämen und damit das Bild der Lehrer prägten. Eine Studentin bemerkt, sie würde es sicher nicht als Kompliment verstehen, wenn jemand zu ihr sagte: «Du bist gekleidet wie ein Lehrer.»

Stilexperte van Rooijen weist darauf hin, dass es eine Berufsgruppe gebe, deren Bewusstsein für passende Kleidung ebenso wenig ausgeprägt sei wie jenes der Lehrer: «Das sind die Journalisten.» Da sind wir nun aber bei einem ganz anderen Thema gelandet.

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