25. Oktober 2014

Lehrplan 21: "Fachliche Erdung für den von der Lehrperson verantworteten Unterricht"

Die Beschreibung des Lehrplans 21, wie sie im Titel steht, stammt vom St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker. Ob sie aber auch ursprünglich von ihm stammt, bezweifle ich. Sie tönt stark nach dem bildungspolitischen Mief, der sich in unseren Amtsstuben ausbreitet. In seinem Interview mit dem St. Galler Tagblatt hat Kölliker noch weitere sprachliche Müsterchen parat. Dabei fällt auf, wie hemmungslos die Bildungsdirektoren verharmlosen und diffamieren, wenn es um den Lehrplan 21 geht. Hier also ein paar Beispiele mit meinen Ergänzungen: (uk)

  • Kölliker bezweifelt ein zunehmendes Misstrauen gegen den LP21. Er kennt offenbar diesen Blog nicht. 
  • Tatsache sei, dass Behauptungen verbreitet würden, die abstrus seien. Beispiele bitte?
  • Der LP21 ist ein "zeitgemässes Fundament für den Unterricht". Tönt besser als "fachliche Erdung", immerhin.
  • "Der neue Lehrplan wird im Kanton St. Gallen nicht mehr Kosten verursachen als der bisherige... er ist, abgesehen von der bereits abgeschlossenen Erarbeitung, praktisch kostenneutral". Eine riskante Behauptung. Ob die Erarbeitung wirklich abgeschlossen ist, wissen wir nicht. Ok, die Einführungen sind bereits unter Weiterbildung abgebucht. Doch wie steht es mit den Kosten der neuen Lehrmittel und der neu zu erarbeitenden Beurteilungsinstrumente? Wo werden die Kosten für das nationale Monitoring verbucht? Und die PH werden die neuen Fächer (Räume, Zeiten, Gesellschaften) und Inhalte (ICT, Medien, Politik, Konsum, Gesundheit, Menschenrechte usw.) sicher gratis und franko erteilen. 
  • "Wir werden den Lehrplan Anfang November schweizweit kommunizieren". Darauf bin ich sehr gespannt. Laut dem Solothurner Erziehungschef Remo Ankli soll am 31. Oktober lediglich eine erste Lesung an der EDK-Plenarversammlung erfolgen. Die 2. Lesung und Freigabe ist für den März 2015 vorgesehen. Die (bewusst?) irreführende Kommunikation der EDK ist in diesem Blog übrigens bestens belegt. 
  • Die Kompetenzorientierung wird verteufelt, indem ihr viel zu viel Bedeutung im Schulalltag unterschoben wird. Ich kenne - ausser den Direktbeteiligten - niemand, der die Kompetenzorientierung unterstützt. Andersdenkende bitte melden! Zu viel Bedeutung? Wer organisiert denn die Weiterbildungen zum Thema "Kompetenzorientierter Unterricht"? Wieso werden wir alle mit neuen, kompetenzorientierten Lehrmitteln beglückt?
  • Die Mobilität wird dank des Lehrplans 21 "stark erleichert". Zu dieser Feststellung fällt mir keine passende Ergänzung ein.
"Nicht im stillen Kämmerlein", St. Galler Tagblatt, 25.10. von Nina Rudnicki


Herr Kölliker, in St. Gallen ist eine Initiative für den Austritt aus dem Harmos-Konkordat lanciert. Es scheint zunehmend Misstrauen gegen den Lehrplan 21 aufzukommen.

Stefan Kölliker: Ich bezweifle das. Wo ist der Beleg dafür? Tatsache ist, dass einzelne Behauptungen verbreitet werden, die zum Teil wirklich abstrus sind.


Es gibt Unklarheiten über den Inhalt des Lehrplans. Haben Sie zu wenig überzeugend kommuniziert?

Kölliker: Nein. Wir werden den Lehrplan Anfang November schweizweit kommunizieren und die Fakten dann erklären. Das ist seit längerem so angekündigt. Es besteht kein Grund, vorzeitig in Hektik zu verfallen. Zumal die Kantone in der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren nichts Verrücktes oder Monströses machen. Sie bauen einfach ein zeitgemässes Fundament für den Unterricht.


Die Initianten befürchten Mehrkosten in Millionenhöhe.

Kölliker: Der neue Lehrplan wird im Kanton St. Gallen nicht mehr Kosten verursachen als der bisherige. Nicht einmal bei der Einführung. Die dafür erforderlichen Weiterbildungen werden im bestehenden Weiterbildungskontingent untergebracht. Auch die Lektionenzahl der Schüler wird dieselbe bleiben. Indirekt beeinflusst der Lehrplan die Lehrmittel. Diese sind aber zum Teil schon angepasst. Der neue Lehrplan ist, abgesehen von der bereits abgeschlossenen Erarbeitung, praktisch kostenneutral.


Einer der grössten Kritikpunkte ist, dass vermehrt auf Kompetenzen statt auf Wissen gesetzt wird. Lehrer befürchten, dass sie dadurch in der Freiheit ihrer Unterrichtsmethoden eingeschränkt werden.

Kölliker: Das ist Stimmungsmache und faktenwidrig. Die Kompetenzorientierung wird verteufelt, indem ihr viel zu viel Bedeutung im Schulalltag unterschoben wird. Die Lehrpersonen werden doch nicht mit dem Lehrplan, dem Metermass und der Stoppuhr in den Händen vor den Kindern stehen, um das Erreichen der Kompetenzen zu messen. Da werden einfach absurde Vorstellungen verbreitet. Auf die Kritik, dass die Grundansprüche teilweise zu hoch angesetzt worden sind, ist reagiert worden. In der Fassung, die nun verabschiedet werden soll, sind diese angepasst worden.


Über die überarbeitete Fassung des Lehrplans 21 werden Sie die Öffentlichkeit im November informieren. Was ist neu?

Kölliker: Es wurde ja schon mehrmals über den Lehrplan 21 informiert, so vor allem bei der Anhörung des Grundentwurfs. Jetzt läuft die Phase der Bereinigung. Diese steht vor dem Abschluss. Dann ist Zeit, zu informieren. Darüber, was definitiv vorliegt, und wie es umgesetzt wird.


Sie sind zuversichtlich, dass die Kritiker verstummen werden?

Kölliker: Wer sich unbefangen informiert und eine eigene Meinung bildet, gelangt zu einem unverkrampften Verhältnis zum neuen Lehrplan. Was kann an diesem eigentlich so schlimm sein? Wie jeder Lehrplan vor ihm auch, ist er die fachliche Erdung für den von der Lehrperson verantworteten Unterricht. Und das über die Kantonsgrenzen hinweg. Nicht weniger, nicht mehr. Zudem wurde er nicht im stillen Kämmerlein entwickelt, sondern mit Einbezug vieler Personen aus der Schulpraxis.


Angenommen, die Initiative für den Harmos-Austritt käme zustande, was ein Zeichen der Stimmbürger gegen den Lehrplan 21 wäre. Würden Sie diesen trotzdem einführen?

Kölliker: Ja. Erstens weil kein Zusammenhang zwischen Harmos und dem Lehrplan 21 besteht. Und zweitens weil die Bundesverfassung von den Kantonen verlangt, die Ziele der Schulstufen zu koordinieren. Mit dem Lehrplan 21 kann diese föderalistische Hausaufgabe erledigt werden.


Was für Folgen hätte der Austritt aus dem Harmos-Konkordat für St. Gallen?

Kölliker: Das Harmos-Konkordat ist ein gemeinsames Commitment der Kantone für den Bildungsraum Schweiz. Seine Tragweite ist unterschiedlich. Zu gewissen Themen äussert es sich verbindlich, etwa zum Sprachenkonzept. Zu anderen Themen bleibt das Konkordat offen, dazu gehört auch der Lehrplan- und Lehrmittelbereich. Harmos und Lehrplan 21 sind nicht miteinander verschweisst. Das zeigt sich schon darin, dass beim Lehrplan 21 auch Nicht-Harmos-Kantone mitmachen werden.


Welches ist der grösste Vorteil des Lehrplans 21, abgesehen von der Vereinheitlichung?

Kölliker: Das ist eben doch die parallele Verankerung in allen Kantonen. Sie garantiert, dass die Kinder bei Ortswechseln, die heute viel häufiger sind als früher, nicht die Geprellten sind. Die Mobilität wird stark erleichtert. Davon profitieren auch die Lehrpersonen. Der Inhalt steht für mich eher im Hintergrund, weil die Lehrpersonen im Schulalltag ihre ganze Methodenfreiheit behalten, die Schüler weiterhin mit gesunder Einstellung fördern und gewiss nicht jede Viertelstunde an den Lehrplan denken.


Sie sagen, dass sich im Schulalltag gar nicht viel verändern wird.

Kölliker: Ja. Lehrpläne müssen von Zeit zu Zeit der schulischen und gesellschaftlichen Entwicklung angepasst werden. Der bisherige St. Galler Lehrplan datiert aus dem Jahr 1997, ist also bald 20jährig. Da erträgt es jetzt eine Aktualisierung. Der Lehrplan 21 bringt die Basis der St.Galler Schule auf Vordermann. 

1 Kommentar:

  1. Kassandra hat den folgenden Kommentar zugeschickt.
    Ausser Spesen nix gewesen? Was bringt die Überarbeitung des Lehrplans 21? (Kassandras Kommentar zu den Versuchen den Lehrplan zu retten)

    Ob es mit dem Lehrplan 21 wohl ist wie mit einer Bratensauce, die man noch einkochen lassen muss, damit sie wirklich gut wird?
    Was wird besser, wenn die Überarbeitung nach dem selben Strickmuster läuft, wie die Erarbeitung, indem nur aufgenommen wird, was den „Köchen“ ins Konzept passt?
    Der kritisierte Bildungsabbau wurde (noch) nicht aufgegriffen. Die wachsende Kritik am utilitaristischen (auf Verwertbarkeit ausgerichtete) Kompetenzmodell wurde ignoriert.
    Alle BürgerInnen sind kompetent bzw. zuständig für politische Entscheidungen!
    Hier eine Leseprobe aus dem Kompetenzaufbau des 2. Zyklus (für 9-12-jährige):
    (Originalzitate aus der Konsultationsfassung)
    Beispiel Fachbereich Deutsch (lesen und schreiben)
    „Die Schülerinnen und Schüler können ein Buch auswählen, indem sie in verschiedenen Büchern schnuppern (z.B. durchblättern, Anfang oder Schluss lesen).“
    Schnuppern Sie einmal in den Lehrplan 21 hinein!
    Man wird schon beim Durchblättern der über 500 Seiten dieses Lehrplans stutzig. Über 4000mal „Schülerinnen und Schüler können...“
    Würden Sie dieses Lehrplan-Buch auswählen?

    „Die Schülerinnen und Schüler können sich in einen Schreibfluss versetzen (z.B. automatisches Schreiben, Herumgehen und vor sich hin sprechen, gegenseitiges Erzählen, zur Vorbereitung auf Tonträger sprechen).“
    Man stelle sich eine Schulklasse vor, die gerade im Begriff ist, sich in einen Schreibfluss zu versetzen! Allenfalls könnte man die eine oder andere Anregung selber einmal ausprobieren z.B. für das Schreiben von Leserbriefen.

    Beispiel Fachbereich Natur Mensch Gesellschaft (NMH)
    „Die Schülerinnen und Schüler können beschreiben, wie eine mögliche Zukunft der Schweiz oder der Welt aussehen könnte.“
    Das ist eine Mindestanforderung! Man muss sich fragen, ob die Schule ein Kaderschmiede für Utopisten, Wahrsager und Visionäre sein soll?

    „Die Schülerinnen und Schüler können grundlegende Modelle von Machtausübung und Entscheidungsfindung unterscheiden (insbesondere Diktatur, Monarchie und Demokratie).“
    Wir leben weder in einer Diktatur noch in einer Monarchie. Mit einer Volksinitiative bestimmt der Souverän, ob er diesen Lehrplan will oder nicht.

    „Die Schülerinnen und Schüler können exemplarisch einen politischen Prozess im Nahraum verfolgen und analysieren (Problemdefinition, Meinungsbildung, Lösungssuche, Entscheid, Bewertung).“
    Besser wäre es, den Kindern sichere Grundlagen beizubringen. Nur so können auch sie später ihre Verantwortung als mündige BürgerInnen wahrnehmen.

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