26. September 2014

Frühfranzösisch-Veranstaltung geriet zum Tribunal

Sie konnten einem richtig­gehend Leid tun: Die beiden Fachhochschul-Professoren Christine Le Pape Racine und Giuseppe Manno wurden an der Delegierten- und Mitgliederversammlung des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland am Mittwochabend in Muttenz richtiggehend vorgeführt. Die beiden gaben sich redlich Mühe, die rund 100 anwesenden Baselbieter Lehrkräfte vom Frühsprachen-Konzept für die Primarschulen in der Schweiz zu überzeugen. Doch wie es schien, hatten die beiden zuvor noch nie einen Fuss in ein Klassenzimmer gesetzt, derart akademisch tönten ihre wissenschaftlichen Rechtfertigungen des «einmaligen Pionierprojekts Passepartout», das zurzeit an den Primarschülern in der Schweiz ausprobiert werde. Sie ernteten bei den versammelten Praktikern vorwiegend Gelächter. Und bittere­ Vorwürfe.




Christine Le Pape Racine, Leiterin der Professur Französischdidaktik an der PH FHNW, konnte die Anwesenden nicht überzeugen, Bild: fhnw

Wie die Baselbieter Lehrer die Professoren vorführten, Basler Zeitung, 26.9. von Thomas Dähler


Zwei verstaubt anmutende Theoretiker wollen den Praktikern, die täglich unterrichten, erklären, wie die Wirklichkeit ist: ein hoffnungsloses Unterfangen. Ob der von Präsident Roger von Wartburg geleitete Vorstand des Lehrervereins die Professoren absichtlich ins offene Messer laufen lassen wollte, ist nicht bekannt. Jedenfalls geriet der angesagte kontradiktorische Meinungsaustausch zwischen den beiden Wissenschaftlern und den Frühfremdsprachen-Skeptikern Rudolf Wachter, Professor an der Universität Basel, und Urs Kalberer, Lehrer und Didaktiker aus Malans, zu einer extrem einseitigen Angelegenheit – zeitweise sogar richtiggehend zum Tribunal. Leicht erhielt man den Eindruck, dass die vom sprachlichen Schulalltag bitter enttäuschten Lehrkräfte endlich mal die Gelegenheit erhielten, denen so richtig die Leviten zu lesen, die ihnen die Suppe eingebrockt haben. Lehrkräfte, die auf der Seite ihrer Fachhochschul-Professoren standen, waren jedenfalls im ganzen Saal keine auszumachen.
Le Pape versteifte sich darauf, dass das Fremdsprachenprojekt nicht vor 2018 ausgewertet werden könne. Und Manno beeilte sich zu erklären, dass alle Fremdsprachenstudien aus dem Ausland nicht auf die Schweiz übertragen werden könnten. Die einzige in der Schweiz verfügbare Studie besage, dass zwei Frühfremdsprachen die Schüler nicht überfordern würden.
Da hatte der Bündner Lehrer Kalberer, der offensichtlich über alle Studien, die seit der Jahrhundertwende in Europa und den USA publiziert wurden, Bescheid weiss, leichtes Spiel. Das Fazit: «Je früher desto besser, ist ein Mythos.» Und: «Ältere Lerner lernen besser.» Im Primarschultempo von zwei Wochenlektionen brauche man 20 Jahre, um auf gleich viel Sprachkontakte zu kommen wie Sprachschüler im fremden Sprachgebiet. Kalberer: Erfolg habe eine Frühfremdsprache bei uns nur, wenn eine Klasse maximal 15 Schüler zähle, jeden Tag eine Lektion stattfinde und die Lehrkraft über muttersprachliche Kompetenzen verfüge – ein Ding der Unmöglichkeit. Uniprofessor Wachter wies darauf hin, dass im Pionierkanton Zürich Frühenglisch eingeführt wurde, bevor überhaupt die erste wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben wurde – und dabei habe es sich erst noch um ein Gefälligkeitsgutachten gehandelt.
Vergebliche Mühe
Le Pape und Manno sagten dazu nichts. Dafür meldeten sich mehrere Lehrkräfte aus dem Publikum. Tenor: Ihre Sprachlektionen in der dritten und vierten Klasse – in den Broschüren der Baselbieter Bildungsdirektion hochgelobt – seien vergebliche Mühe. Der Aufwand jedenfalls stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag. In der dritten Klasse könne zudem nur beschränkt auf die Erstsprache Deutsch zurückgegriffen werden, denn die Schüler beherrschten Hochdeutsch noch gar nicht richtig. Die Schüler hätten derart «den Ablöscher», dass sich die Frühsprache sogar kontraproduktiv auswirke.

Vergeblich versuchte Le Pape die Vorzüge eines Unterrichts ohne Klausuren anzupreisen. Vergeblich dozierte Manno, dass es einer «angepassten Didaktik» bedürfe. Ein Kollege, der in Yverdon Frühdeutsch unterrichtet hatte, erzählte, er sei trotz Didaktik und deutscher Muttersprache in der Romandie völlig chancenlos gewesen: «Deutsch ist in der Romandie genau so uncool wie Franz in der Deutschschweiz.» Wie begossene Pudel standen die beiden Professoren von der Pädagogischen Hochschule da – und erhielten ein Geschenk für ihren Theorie-Beitrag.

3 Kommentare:

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  2. Roger von Wartburg, Präsident des LVB, macht folgenden Kommentar:
    Was mich an der Berichterstattung in der BaZ stört, ist, dass der Eindruck entsteht, der LVB habe eine Art "Schauprozess" abgehalten und die beiden Exponenten der PH regelrecht "vorgeführt". Dem war aber definitiv nicht so! Beide Seiten erhielten gleich viel Redezeit und die Pro-Seite durfte sogar mit ihrem Kurzreferat beginnen, also an diesem Abend vor ein noch gänzlich "unbelastetes" Publikum treten. Es kam zu keinen Zwischenrufen oder persönlichen Anfeindungen, insgesamt wurde überaus pfleglich miteinander umgegangen. An jeder Gemeindeversammlung wird mit weitaus härteren Bandagen gekämpft. ABER: Ganz offensichtlich ist es der Pro-Seite nicht gelungen, auch nur ansatzweise einen Draht zu den anwesenden Lehrkräften zu finden. Diese haben sich und ihre Alltagsrealität zweifelsfrei stärker in den Voten der Contra-Seite wiederfinden können. Wahrscheinlich war es auch nicht sonderlich geschickt von der Pro-Seite, eine kritische Frage eines Primarlehrers als "nicht zeitgemäss" zu bezeichnen - da erstaunt es wenig, wenn sich die unterrichtende Zunft nicht ernst genommen fühlt von den Planungsbehörden. Das wäre dann ein weiteres Indiz für die wachsende Entfremdung zwischen Theorie und Schulpraxis - ein Problem, das der LVB seit Jahr und Tag anprangert.
    Roger von Wartburg, Präsident LVB

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  3. Leserbriefschreiber Christoph Studer meldet sich in der Basler Zeitung:
    Richtig: Die beiden Fachhochschulprofessoren konnten einem leidtun. Aber nicht, weil sie von den Baselbieter Lehrpersonen an der Delegiertenversammlung vorgeführt wurden, sondern weil sie sich mit ihrem schlechten Referat zum Frühfremdsprachenkonzept selber bis auf die Knochen blamiert haben.
    Frühestens 2018 würden erste Resultate vorliegen, meinte Frau Le Pape Racine. Der Erfolg werde sich aber ganz sicher einstellen, weil die von ihnen ausgebildeten Lehrpersonen ganz anders unterrichten würden. Es sei alles nur eine Frage der Motivation und der angepassten Didaktik. Mehr an Rechtfertigung für die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts war – ausser akademischen Floskeln – von ihnen nicht zu erfahren. Ob das genügt, um einen so teuren Grossversuch an Tausenden von Kindern zu starten?

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