28. Juni 2014

Bitte noch genauer hinsehen beim Fremdsprachenunterricht

Es ist durchaus legitim, wenn sich Interessenvertreter der Pädagogischen Hochschulen zum Thema Frühfranzösisch zuWort melden. Doch niemand spricht davon, den Fremdsprachenunterricht abzubauen - Französisch (respektive Italienisch) und Englisch gehören zum Fächerkanon eines Deutschschweizer Schülers. Trotzdem verlangen die Äusserungen der Professoren nach einer Reaktion und Richtigstellung. 





Bezüglich des Fremdsprachenlernens herrscht blinder Enthusiasmus, Bild: NZZ

Bitte noch genauer hinsehen beim Fremdsprachenunterricht, Urs Kalberer


Der Artikel „Genauer hinsehen beim Fremdsprachenunterricht“ (NZZ, 25.6.) moniert, wissenschaftlich fundierte Argumente kämen in der Diskussion um den frühen Fremdsprachenunterricht zu kurz – man müsse besser hinsehen. Diesem Wunsch sei hiermit entsprochen. Die Verfasser – allesamt Professoren an Pädagogischen Hochschulen (PH) – zitieren zur Legitimation der aktuellen Sprachenpolitik verschiedene Studien. Es ist ihr gutes Recht, dies sehr selektiv zu tun und die fast einhellige empirische Evidenz zu ignorieren, nach welcher früher Unterricht verbunden mit spärlicher Kontaktzeit nur sehr enttäuschende Resultate zu liefern vermag.

Die zitierte ESLC-Studie zeigt beispielsweise, dass auf Stufe Primarschule tendenziell nur eine Fremdsprache unterrichtet wird. Ausnahmen sind Estland und Griechenland. Ungeachtet des frühen Beginns ist das Niveau der erreichten Sprachkompetenzen tief: Trotz (oder gerade wegen) mehrjährigem Unterricht mit tiefer Lektionenzahl (30-80 Stunden pro Jahr) kommen 42 Prozent der Getesteten nicht über das tiefste Niveau (A1) hinaus. Dies sind höchst bedenkliche Werte, die auch von der anderen zitierten Studie (Ellie) bestätigt werden. Primarschüler erreichen nach mehrjährigem Unterricht gerade das niedrigste Kompetenzniveau von A1. Als negative Begleiterscheinungen erleben wir in der Schweiz die Aufsplitterung des Lehrkörpers, da nur sehr wenige Lehrpersonen das erforderliche Niveau in zwei Fremdsprachen erreichen. Ausserdem werden Fremdsprachen zu Selektionszwecken gebraucht, was bereits früh zu Schulfrust führt. Schliesslich verdrängen die Fremdsprachen andere wichtige Fächer aus der Stundentafel. Allein im Fall der ersten Fremdsprache entspricht dies der Anzahl Deutschlektionen von zwei ganzen Schuljahren.

Nach den Erfahrungen und der wissenschaftlichen Faktenlage sind kritische Anmerkungen zu den Frühfremdsprachen erlaubt. Ganz im Sinne von Georges Lüdi, dem Vater der Sprachenstrategie von 2004, der nun selbst Mängel konstatiert. Lüdi stellt fest, dass der frühe Fremdsprachenunterricht „nicht optimal“ verlaufe und von „blindem Enthusiasmus“ begleitet sei (Le Temps, 23. Juni 2014). Es sei – entgegen der vielen Behauptungen – nicht der Fall, dass junge Schüler besser Sprachen lernten als ihre älteren Kollegen.

Erinnern wir uns, was zu Beginn der Frühfremdsprachen-Einführung versprochen wurde: Die Kinder würden spielerisch leicht und schnell Fremdsprachen lernen. Dies geschehe mit tollen, modernen Lehrmitteln und top ausgebildeten Lehrkräften. Bekanntlich konnte keine dieser Versprechungen von den verantwortlichen Ausbildungsstätten eingehalten werden. Anstatt endlich einen Schlussstrich unter dieses fatale Experiment an Schulkindern zu ziehen, fordern die Autoren keck Geduld und Geld für weitere neue Lehrmittel, weitere Lehrerkurse und vor allem noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen.

Das Statement der drei PH-Professoren malt im Falle einer Abkehr von zwei Primarfremdsprachen den Teufel an die Wand. Dabei verkennen sie, dass ihre Theorien längst die Deutschschweizer Schule im Würgegriff haben. Während also Professoren vorgeben, den nationalen Zusammenhalt bewahren und die Lehrkräfte „noch besser unterstützen“ zu wollen, wird gleichzeitig eine ganze Schülergeneration verheizt.


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