25. Mai 2013

Öko-Bildung in der Praxis

Ein 16-jähriger Gymnasiast schildert, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Praxis abläuft. 

Im Moment behandeln wir den Klimawandel. Der Lehrer meint, dieser Winter sei wieder wärmer gewesen als der letzte. Ich widerspreche und erkläre ihm, dass die Temperaturen in den letzten 15 Jahren nicht gestiegen seien, und dies, obwohl der CO2-Ausstoss um 75 Prozent zugenommen habe. Er glaubt mir nicht, weshalb ich in der nächsten Lektion Forschungsergebnisse der Nasa mitbringe. Darauf mein Lehrer: «Vielleicht stagniert das Klima.» Ich: «Nicht vielleicht.» Darauf mein Lehrer: «In Ordnung, das Klima stagniert ein bisschen.»
Der Lehrer flüchtet sich in einen Kata­s­trophenfilm des Schweizer Fernsehens. Aber auch hier sind wir schon ziemlich ­abgehärtet – denn eine Auseinandersetzung mit dem Gezeigten folgt in der Regel nicht. Schon in der 5. Klasse musste ich den Al-Gore-Film «Eine unbequeme Wahrheit» über mich ergehen lassen. Damals hatte ich Mühe, den Film zu verstehen, wusste ich doch nicht, was CO2 ist. Und meine Schulkameraden, fast ausschliesslich Migrantenkinder, verstanden den komplexen Kommentar eh nicht.
Ich merke, wie dieser Ökounterricht ­ohne wissenschaftlichen Background immer mehr das Gegenteil bewirkt. Wir machen uns einen Spass daraus, den Lehrern zu widersprechen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell dann die Argumentation von wissenschaftlichen Fakten zu Moralvorstellungen wechselt.
Vor einer Woche hatten wir eine Projektwoche zum Thema «Wasser». Die Lehrkräfte versuchten uns vier Tage lang ­beizubringen, dass es ein ökologischer Schwachsinn sei, Mineralwasser zu kaufen. Natürlich zeigte man uns auch hier den unvermeidlichen Film «Bottled Life» über Nestlé. Am letzten Tag analysierten wir den Preisunterschied zwischen Mineral- und Leitungswasser. Unsere Lehrerin war entsetzt, als sie realisierte, dass wir diesen ­Unterschied nicht schlimm finden. Warum soll man nicht Geld für etwas ausgeben, wenn es einem schmeckt?
Aber die Schule gibt nicht auf: Am nächsten Konvent wird abgestimmt, ob Flüge für Exkursionen und Maturreisen verboten werden sollten.
Quelle: Weltwoche, 21/2013 von Leon Wiederkehr

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