Im folgenden Artikel kritisiert der ETH-Professor Juraj Hromkovic den Informatikunterricht an unseren Schulen. Er fordert eine Neuausrichtung der Informatik im Lehrplan 21.
Endlich hat es auch
ein Politiker offen gesagt. Der britische Bildungsminister Gove nennt den
ICT-Unterricht, der auf dem Erlernen des Umganges mit Softwaresystemen wie Word
und Excel beruht, einen Mist und verbannt ihn aus der Schule. Stattdessen
sollen Programmieren und wissenschaftliche Grundkonzepte der Informatik
unterrichtet werden. Die Schweizer Kantone und auch der künftige Lehrplan 21
legen das Schwergewicht noch immer auf den unbefriedigenden
Computerführerschein, der keinen nachhaltigen Wissenstransfer, keine Tiefe und
keine nennenswerten Beiträge zur allgemeinen Bildung leistet. Und das, obwohl
in Ländern mit diesem dürftigen Pseudoinformatikunterricht alle statistischen
Untersuchungen zeigen, dass der Unterricht in der blossen Computerhandhabung
sowohl von den Schülerinnen und Schülern wie auch von den Lehrpersonen als
langweilig und unerwünscht eingestuft wird.
In Österreich haben
bloss zwei Prozent der befragten Jugendlichen einen solchen ICT-Unterricht als
nützlich bezeichnet. In Staaten mit fortgeschrittenem Informatikunterricht ist
Informatik genauso spannend und herausfordernd wie die Mathematik oder die Naturwissenschaften.
Gove betont, dass der bisherige minderwertige ICT-Unterricht einen grossen
wirtschaftlichen Schaden zu verantworten hat. Die geringe Begeisterung für ein
universitäres Studium der Informatik und der technischen Fächer ist auch dem
Fehlkonzept der Schulinformatik zuzuschreiben. Die Türe zum nachhaltigen
Informatikunterricht wurde geöffnet. Jetzt muss erklärt werden, welches die
wichtigsten Bildungsbeiträge des Informatikunterrichts sein können, und wie sie
in der Schule künftig am besten umgesetzt werden.
Es empfiehlt sich,
mit dem Programmierunterricht schon im Alter von acht bis zehn Jahren zu
beginnen. Welchen Wissenstransfer und welche Kompetenzen kann man in diesem
Alter erwarten? Programmieren im engeren Sinn bedeutet, dass man lernt, die
Maschine zu steuern. Dabei muss man dem Rechner eine eindeutige und
unmissverständliche Beschreibung der gewünschten Tätigkeit mitteilen. So wird
in der Schule die Kommunikationsfähigkeit mit Schwerpunkt Exaktheit und
Prägnanz stark gefördert.
Programmieren im
weiteren Sinn bedeutet, Wege zu Problemlösungen zu suchen. Dabei wird die
konstruktive Vorgehensweise geschult. So entdeckt man das Konzept des modularen
Entwurfs, der für alle technischen Disziplinen grundlegend ist. Zunächst werden
kleine Programme zur Lösung einfacher Aufgaben entworfen, die man Module nennt.
Nach Überprüfung ihrer Richtigkeit nutzt man sie als Bausteine, um schwierigere
Probleme zu bewältigen. Auf diese Weise gehen die Schülerinnen und Schüler den
ganzen Weg von der Problembeschreibung über die Lösungssuche bis zur
Herstellung des fertigen Produkts. Dabei lernen sie auch neue Konzepte wie das
Testen und das Verifizieren kennen. Das alles sind unumgängliche
Voraussetzungen für die Informationsverarbeitung in der Wissensgesellschaft.
Sie fördern die rechtzeitige Entwicklung des konstruktiven algorithmischen
Denkens.
Auf der Stufe der
Maturitätsschulen ist zu klären, was der Informatikunterricht zum Verständnis
der Welt beiträgt und wie er der Hochschulreife dient. Es geht hierbei nicht
nur darum, zu lernen, die Technik zu verstehen und zu steuern. Mit dem Konzept
des Algorithmus (Rechenverfahren) entsteht vielmehr die Möglichkeit, die
Problemstellungen in automatisierbare und nichtautomatisierbare zu unterteilen.
Eine typische Aufgabenstellung umfasst eine unendliche Vielfalt von
Problemfällen. Ein Algorithmus ist eine endliche Beschreibung einer
Vorgehensweise, mit der man jeden dieser Problemfälle erfolgreich lösen kann.
Es gibt viele praktische Problemstellungen, für die kein Algorithmus existiert.
Der wichtigste wissenschaftliche Beitrag der Informatik ist das Konzept der
Berechnungskomplexität. Es gibt Grundgesetze der Informatik, die unabhängig von
der technischen Entwicklung der Rechner gelten. Für jede Problemstellung gibt es
eine unvermeidbare und hinreichende Menge an Rechenarbeit, die man leisten
muss, um aus den gegebenen Daten die gewünschte Information oder die gesuchte
Lösung zu gewinnen.
Manchmal reicht die
Energie des Universums für die Berechnung nicht aus. Solche Probleme gelten als
schwer. Die Wissenschaft der Informatik dreht sich hauptsächlich um die Frage,
wie viel vom Gewünschten sich in vertretbarer Zeit aus vorgegebenen Daten
erhalten lässt. Ohne dieses Wissen kann man heute in vielen Gebieten der
technischen und wissenschaftlichen Forschung keinen Erfolg haben.
Es stellt sich nun
die Frage, wie viele Bildungspolitikerinnen und -politiker in der Schweiz diese
Fehlentwicklung in der Informatikausbildung weiterhin stolz als einen Beitrag
zur Bildung verkaufen wollen und ob sie wie bisher im künftigen Lehrplan 21 auf
diesem «Mist» aufbauen wollen. Der grösste Gegensatz ist im Kanton Zürich zu
beobachten. Einerseits will die Stadt ein zweites Silicon Valley werden,
andererseits verweigert die kantonale Bildungsdirektion die Verankerung
elementarer Informatikgrundlagen in den Lehrplänen und schwärmt von Konzepten,
die immer mehr Länder als Irrtum der Geschichte bezeichnen. Erforderlich ist
jetzt eine grundlegende Änderung in der schweizerischen Bildungspolitik.
Quelle: NZZ, 27.1. von Juraj Hromkovic